Mind-Body-Medizin (MBM) bei Schmerzen: Was die Wissenschaft sagt! Teil I: KOPFSCHMERZ
Die Mind-Body-Medizin ist in den USA bereits ein fest etablierter Bestandteil der medizinischen Versorgung. Aber auch in Deutschland wird MBM immer mehr als ein sanfter Therapieansatz bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern angewendet. Nachdem wir in der Eröffnung der Serie „MIND-BODY-MEDIZIN (MBM) FÜR SCHMERZEN“ ganz allgemein über MDM als Schmerztherapie berichtet haben, möchten wir uns in den folgenden Artikeln diversen spezifischen Krankheitsbildern im Detail widmen.
In dem ersten Teil behandeln wir Studienergebnisse zum Kopfschmerz.
Kopfschmerzen sind eine weltweit verbreitete Krankheit, die jeden betrifft. In Deutschland sind Kopfschmerzerkrankungen sowohl unter Frauen als auch unter Männern weit verbreitet und führen oft zu Einschränkungen der Lebensqualität. Das Robert-Koch Institut hat dieses Jahr im Rahmen einer Krankheitslast-Studie interessante Zahlen und Fakten hierzu veröffentlicht. Anhand der diagnostischen Kriterien der International Classification of Headache Disorders wurden Häufigkeit, Dauer, Eigenschaften und Begleiterscheinungen der Kopfschmerzen erfragt:
- 57,5 % der Frauen und 44,4 % der Männer in Deutschland berichten, binnen eines Jahres mindestens einmal von Kopfschmerzen betroffen zu sein.
- 14,8 % der Frauen und 6,0 % der Männer erfüllen die kompletten Kriterien für Migräne.
- 10,3 % der Frauen und 6,5 % der Männer sind von Spannungskopfschmerzen betroffen.
- Migräne und Spannungskopfschmerzen treten vorwiegend im erwerbsfähigen Alter auf und nehmen im Altersverlauf stetig ab. Migräne geht häufig mit Begleiterkrankungen wie depressiven Symptomen und Angststörungen einher.
- Während der Kopfschmerzattacken ist bei vielen Betroffenen die Funktionsfähigkeit im Alltag stark eingeschränkt.
- Neben einer geminderten Leistungsfähigkeit im Beruf werden auch Sozialkontakte nur noch eingeschränkt wahrgenommen und auf Freizeitaktivitäten wird verzichtet. Schon die Furcht vor der nächsten Erkrankungsepisode kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen und Begleiterkrankungen wie Depression, Schlafstörungen oder andere Schmerzerkrankungen begünstigen.
Die meisten Schmerzmittel in Deutschland werden wegen Kopfschmerzen genommen! Doch die häufige Einnahme von Schmerzblockern hat, wie jeder weiss, viele Nebenwirkungen, wie Leberschäden, Nierenversagen, Magenbeschwerden, Bluthochdruck. In manchen Fällen kann sich aus der regelmäßigen Einnahme von Schmerzmitteln gegen Kopfschmerzen ein Teufelskreis entwickeln, der in einem medikamentenbedingten Dauerkopfschmerz resultiert.
In der Ganzheitlichen Schmerztherapie wird mit einer intensiven Diagnostik zunächst nach den möglichen Auslösern für den Kopfschmerz gesucht. Manchmal führen verschiedene Faktoren zusammen zum Schmerz. Dann helfen auch verschiedene Therapiebausteine, die gleichzeitig Anwendung finden, wieder aus dem Schmerz hinaus – dies nennt man “multimodale Schmerztherapie”.
In den letzten Jahren deuten immer mehr Forschungsergebnisse zu Therapieformen aus der Mind Body Medizin wie Entspannungstraining, Biofeedback, Akupunktur und Manipulation der Wirbelsäule darauf hin, dass diese Ansätze zur Linderung von Kopfschmerzen beitragen und bei Migräne hilfreich sein können.
Studien im Detail:
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- MBM allgemein: Eine Analyse aus dem Jahr 2017, die auf fünf Metaanalysen, sieben systematischen Überprüfungen und 34 randomisierten kontrollierten Studien zu komplementären und integrativen Gesundheitsansätzen für Kopfschmerzen basiert, ergab, dass Akupunktur, Massage, Yoga, Biofeedback und Meditation sich positiv auf Spannungskopfschmerzen und Migräne auswirken. Weiterhin erwies die Analyse, dass Manipulationen der Wirbelsäule, Chiropraktik und Hydrotherapie ebenfalls bei Migränekopfschmerzen von Vorteil sein können.
- Meditation / Hypnotherapie / Entspannung: Eine europäische Studie aus dem Jahr 2019, die an 131 Kindern (9 bis 18 Jahre) mit primären Kopfschmerzen durchgeführt wurde, untersuchte die Wirksamkeit der transzendentalen Meditation oder Hypnotherapie und verglich sie mit progressiven Muskelentspannungsübungen (aktive Kontrollgruppe). Die Studie ergab eine klinisch relevante Reduzierung der Kopfschmerzen (≥ 50%) bei 41% und 47% der Kinder nach 3 bzw. 9 Monaten ohne signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen.
- Biofeedback: Die Wirksamkeit von Biofeedback wurde in zahlreichen Studien für Spannungskopfschmerzen mit positiven Ergebnissen bewertet. Eine systematische Überprüfung von 11 randomisierten kontrollierten Studien aus dem Jahr 2009 ergab jedoch, dass es widersprüchliche Hinweise auf die Wirksamkeit von Biofeedback im Vergleich zu Placebo gegenüber prophylaktischen Arzneimitteln oder anderen Behandlungen gibt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Biofeedback die Häufigkeit von Migräne verringert. Eine 2007 durchgeführte Metaanalyse von 55 Studien ergab einen bescheidenen Effekt für Biofeedback-Interventionen und dauerte über eine durchschnittliche Nachbeobachtungsphase von 17 Monaten. Eine Überprüfung von 2008 kam jedoch zu dem Schluss, dass Biofeedback vorteilhafte klinische Auswirkungen auf Migräne hat. Ob diese Auswirkungen jedoch spezifisch oder unspezifisch sind, bleibt unklar. Eine 2016 durchgeführte Metaanalyse von fünf Studien mit insgesamt 137 pädiatrischen Teilnehmern ergab, dass Biofeedback eine wirksame Intervention gegen pädiatrische Migräne darstellt. Es sind jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um das Vertrauen der Gutachter in die Schätzung zu stärken.
- Entspannungstechniken: Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 2017 zeigte, dass kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback und Entspannungstechniken mit einer signifikanten Verbesserung der chronischen Migränesymptome verbunden sind. Für die Wirksamkeit von Entspannungstechniken bei Spannungskopfschmerzen gibt es laut den Autoren einer systematischen Überprüfung von acht Studien aus dem Jahr 2009 keinen Hinweis darauf, dass Entspannungstraining besser ist als keine Behandlung oder ein Placebo. Eine Metaanalyse von 53 Studien aus dem Jahr 2008 legt nahe, dass Entspannungstraining weniger effektiv ist als Biofeedback.
Die Richtlinien des US Headache Consortium zur Behandlung von Migräne enthalten Empfehlungen, die auf Daten aus 39 kontrollierten Studien basieren. Danach hilft Entspannungstraining, thermisches Biofeedback in Kombination mit Entspannungstraining, EMG-Biofeedback und kognitive Verhaltenstherapie zur Vorbeugung von Migräne. In Kombination mit einer vorbeugenden medikamentösen Therapie können diese genannten Maßnahmen eine zusätzliche klinische Verbesserung zur Linderung von Migräne erreichen. - Tai-Chi: Die Daten hierzu sind leider zu limitiert, um aussagekräftige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, ob Tai-Chi bei Spannungskopfschmerz wirksam ist. Es gibt eine kleine klinische Studie (n = 47) welche ergab, dass ein 15-wöchiges Tai-Chi-Programm die Auswirkungen von Kopfschmerzen vom Spannungstyp im Vergleich zu einer Wartelistekontrollgruppe wirksam reduziert. Man sollte bei einer Interpretation dieser Studie jedoch berücksichtigen, dass eine Wartelistenkontrollgruppe als einzige Kontrollgruppe keine wirkliche Aussagen über spezifische und unspezifische Therapieeffekte in Studien mit Wartelistenkontrollgruppen zulässt.
- Akupunktur: Die kombinierten Ergebnisse von Studien zur Bewertung der Wirksamkeit der Akupunktur bei Kopfschmerzen zeigen, dass Akupunktur vorteilhafte klinische Wirkungen haben kann. Ob diese Wirkungen der Akupunkturbehandlung jedoch spezifisch oder unspezifisch sind, wurde nicht bestimmt – weitere Analysen hierzu sind in Arbeit. Eine 2012 durchgeführte Metaanalyse einzelner Patientendaten kam zu dem Schluss, dass Akupunktur eine sinnvolle Option für chronische Schmerzzustände, einschließlich Kopfschmerzen, sein kann.
In einer allgemeinen Studie aus dem Jahr 2019 zu Akkupunktur bei Schmerzen kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Evidenzen insgesamt für Akupunktur als Behandlungsoption für Migräne- und Spannungskopfschmerzstörungen spricht.Im Februar 2020 wurde ein systematischer Übersichtsartikel veröffentlicht, der eine Zusammenfassung bestehender randomisierter Studien zur Wirksamkeit einer Akupunkturbehandlung im Vergleich zu herkömmlichen Medikamenten zur Vorbeugung von Migräne abbildet. Die Autoren schlussfolgern, dass es zunehmend Hinweise darauf gibt, dass Akupunktur genauso wirksam ist wie viele der derzeit verwendeten Standardarzneimittel, und dabei nur wenige bis gar keine Nebenwirkungen hat. Mehrere Studien deuten sogar darauf hin, dass Akupunktur wirksamer ist als pharmakologische Standardbehandlungen zur Migräneprävention. Die Heterogenität der analysierten Studien schränkt jedoch einen absoluten Vergleich ein. - Massage: Einige Hinweise aus zwei kleineren Studien legen nahe, dass eine Massagetherapie möglicherweise bei Migräne hilfreich sein kann. Leider reichen die Studiendesigns aber nicht aus, um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können. Ein systematischer Review der beiden Studien im Jahr 2011 ergab, dass die Massagetherapie bei der prophylaktischen Behandlung von Migräne möglicherweise genauso wirksam ist wie der Betablocker Propranolol und das Antiepileptikum Topiramat.
- Wirbelsäulen-Manipulation: Die Ergebnisse zahlreicher systematischer Übersichtsartikel zur Manipulation der Wirbelsäule bei Kopfschmerzen sind widersprüchlich. Ein Review von 2011 kam zu dem Schluss, dass systematische Überprüfungen von höherer Qualität (höhere Anzahl von Probanden, bessere Kontrollgruppen) erforderlich sind, um den Nutzen einer Wirbelsäulen-Manipulation bei Kopfschmerzen zu belegen.
Ein weiterer Review von April 2019 kam diesbezüglich zu folgender Erkenntnis: Die Manipulation der Wirbelsäule kann eine wirksame therapeutische Technik sein, um Migränetage und Schmerzen / Intensität zu reduzieren. Angesichts der Einschränkungen der in dieser Metaanalyse enthaltenen Studien betrachten wir diese Ergebnisse jedoch als vorläufig. Methodisch strenge randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) in größerem Maßstab sind erforderlich, um einen echten positiven Effekt der Wirbelsäulenmanipulation zur Vorbeugung und Behandlung von Migräne bzw. Kopfschmerz nachweisen zu können.
Klinische Sicherheit:
- Entspannungstechniken gelten allgemein als sicher für gesunde Menschen. Nichts desto trotz kann es jedoch passieren, dass bestimmte Entspannungstechniken bei Menschen mit Epilepsie, bestimmten psychischen Erkrankungen, oder mit einer Vorgeschichte von Missbrauch oder Traumata die Symptome verschlimmern könnten.
- Akupunktur gilt als sicher, wenn sie von einem qualifizierten und kompetenten Arzt mit sterilen Nadeln durchgeführt wird. Es wurden nur wenige Komplikationen berichtet. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Akupunktur sind selten, umfassen dann mögliche Infektionen und geschädigte Organe.
- Tai-Chi ist auch eine relativ sichere Methode. Einige Patienten mit akuten Rückenschmerzen, Knieproblemen, Knochenbrüchen, Verstauchungen und Osteoporose müssen jedoch möglicherweise bestimmte Tai Chi-Figuren modifizieren oder ganz vermeiden.
- Wirbelsäulenmanipulation können Nebenwirkungen in Form von vorübergehenden Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Beschwerden in den jeweils behandelten Körperteilen zeigen. Eine bestimmte Art der Wirbelsäulenmanipulation, die sich auf den Hals konzentriert, wurde mit einer zervikalen arteriellen Dissektion (CAD) in Verbindung gebracht werden. Diese Risse sind sehr selten, können aber zu einem Schlaganfall führen. Die verfügbaren Daten deuten aber darauf hin, dass die Inzidenz von CAD bei Menschen, die eine Wirbelsäulenmanipulation erhalten, gering ist. Die Patienten müssen jedoch über dieses potenzielle Risiko informiert werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass trotz der oben genannten Einschränkungen (geringe Anzahl an Studien, kleine Probandenzahlen, hohe klinische und statistische Heterogenität, schlechte methodische Qualität der eingeschlossenen RCTs) bei einigen Studiendaten eine Wirksamkeit der Mind Body Medizin bei der Verbesserung von Kopfschmerzen und Migräne hinsichtlich der Häufigkeiten, Dauer und Intensität festgestellt werden kann.
Weitere qualitativ hochwertige Studien, in denen Daten mit größeren Probandenzahlen, ausreichend Kontrollgruppen sowie Langzeitmessungen erhoben werden, sind erforderlich, um den eindeutigen Beweis führen zu können, welche Therapieform der MBM für welche Art von Kopfschmerz hilfreich ist.
Quellen:
https://www.nccih.nih.gov/health/providers/digest/mind-and-body-approaches-for-chronic-pain-science
https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-020-03133-8
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